ERZÄHLUNGEN

DIALOGE MIT ILSE AICHINGER / BIRGIT BEßLER
TEIL 1

 

Nun? Wie ist es? Töne: Kla-vier-ü-ben. Sagte der Erste zum Zweiten Zwerg.
Und während wir lauschten, senkte sich das Licht quer durch die Gärten. Heißt auch Nachmittag.
Am Abend diskutierten wir, ob es sinnvoller sei, das Küchengeschirr funktional in den Schränken zu ordnen oder im Raum zu platzieren nach Form und Gestalt. Die Sache blieb, wie man sich denken kann, umstritten. Doch seitdem sehe ich Birgit Besslers Bilder, gleichgültig, ob sie Geschirr zeigen oder verbergen, immer auch als Kompositionen von Körpern im Raum.
Auch, auch, auch – auch, auch auch, auch – Still! Singen die Zwerge.

Christine Nagel

Und während wir noch stritten, verdüsterte ein Schwarm schwarzer Schwalben die schwere Luft. Wir hätten sie gerne vertrieben. Auch Judith vermochte es nicht, sie herauszuhalten. So schlug ich vor, ein sicheres Wasser für sie zu gestalten. Die Dämme geben den Häusern Schutz, warum den Vögeln nicht eine spiegelglatte Fläche erlauben. Doch Judith verwehrte, die Schwalben aufs grundlose Wasser zu locken. Laß uns weiterbauen – je größer die Siedlung, desto sicherer der Grund. So stand bald eines am andern, die Front nach dem Abgrund gedreht, das Hinterland im Rücken. Dicht an dicht, darauf bestand ich. Und ein Balkon sollte auch mit dazu. Die Kirche – wo ist die Kirche am Ort? Wir brauchten nicht lange zu suchen – da, wo die erste Reihe den Damm säumt, dahinter ist Platz. Jetzt züngelte ein senkrechter Blitz hinab, im Rhythmus ein zweiter, ein dritter. Wir sahen das Schauspiel, stumm. Die Schleier, sie wurden dichter.
Nur soviel ist gewiß: hätten wir nicht begonnen, am Abgrund zu bauen, wären die Schwalben nicht gekommen. Und der Kirchturm hätte die Blitze nicht abgefangen.
Kein Balkon verlagerte das Haus in die Luft. Nur den Garten mit Blumen, den gäb es, woanders. Aber man kann nicht alles erwarten, so nahe am Wasser, auf Sand gebaut. Und es waren auch keine Schwalben.

Christine Nagel

DIALOGE MIT ILSE AICHINGER / BIRGIT BEßLER
TEIL 2

 

Ich frage mich, woher die Bewahrung in diese Bilder kommt. Denn sie kommt. Das Bedrohliche der leuchtenden Häuser und Bäume wird hinweg getragen von den Wolken oder aus der Fläche hinaus. Die feinen Schaukeln und schwärmenden Vögel schwingen sich auf in die Freiheit, während die leuchtenden Fenster auf voll gestellten Halligen vom Ozeandampfer verdrängt werden. Die Zwerge flüstern: Und wer lässt die Schwalben steigen? Wer führt die Rehe ins Freie? Wer färbt den Himmel ein?
Nachts kann es geschehen, dass mich das Klirren von Küchengeschirr daran erinnert, dass Orte von Körpern belebt, und stets in Bewegung sind. Die Malerin setzt den Moment in sein Recht, auf einem Grund, der in der Ewigkeit verharrt.
Brav gelernt! Still. Mahnt der Zwerg.

Christine Nagel

„Die Kinder hatten sich verirrt. Sie liefen, sahen sich einem Nichts gegenüber, das endlos schien. Franz zog eine Schatulle aus der Hosentasche, und holte den Heiligen Franz Josef heraus. Doch es gab kein Marterl, das seine Gedanken fangen wollte. Es gab nur leeren Raum. Und was sollte er damit anfangen? Von der Schaukel, die ihm der Himmel schenkte, schwang sich Clarissa ihm entgegen. Er griff nach ihr, sie entglitt lächelnd. Doch sie verschwand nicht. Als sie wieder neben ihm lief, stellten sie den Heiligen Franz Josef in eine Ecke, die es nicht mehr gab, und verloren sich im Nichts.“

Christine Nagel

GALERIE ERZÄHLUNGEN